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REVOLUTION!

Aufgefasst als einschneidender Transformationsprozess, erheben Revolutionen den Anspruch auf gesellschaftliche, politische und kulturelle Erneuerung einer Gemeinschaft.

Die Novemberrevolution von 1918/19 hatte nicht nur die Ausrufung der Weimarer Republik zur Folge: Vor dem Hintergrund enormer politischer Spannungen ging mit ihr auch ein Paradigmenwechsel und ein neues Kapitel in der europäischen Geschichte einher. Künste und Wissenschaften, die eigene Traditionen in Frage stellten, erlebten eine ungewöhnliche Blüte: Expressionismus, Dadaismus, Neue Sachlichkeit oder Bauhaus sind nur einige der Bezeichnungen für die neuen Ausdrucksformen, die sich bis zur Machtergreifung der Nationalsozialisten in schneller Folge entfalteten. Die tiefgreifenden Neucodierungen des Verhältnisses zwischen Leben und Ästhetik blieben auch für folgende Generationen prägend, wenn auch die Radikalität der Diskurse in der Zeit nach 1945 politisch nicht mehr tragfähig war.
Erst 1968 wurde „Revolution“ wieder aufgerufen, als im Kontext der Studentenbewegung ein neues Bewusstsein entstand, das die Strukturen von Herrschaft und Kapitalismus in Frage stellte. Die damals initiierten historischen Debatten trugen zur Konstitution einer veränderten Öffentlichkeit bei und bedeuteteten damit auch die endgültige Verabschiedung der Nachkriegszeit.
Vom 4. bis 6. März 2020 lädt die Sektion für Deutsche Philologie der Philologischen Fakultät der Universidad Complutense Madrid (UCM) im Rahmen der XV. Semana Germánica zu Reflexionen über den Begriff „Revolution“ und seine Wirkung auf die deutschsprachigen Gesellschaften ein – aus philologischer, philosophischer, kultur- und kunstwissenschaftlicher Perspektive. Dafür sind folgende Bereiche vorgesehen:


Literatur

Die „deutsche Revolution“, wie Alfred Döblin die Novemberrevolution im Titel seines monumentalen Romanzyklus nannte, ist eine gescheiterte Revolution. Sie führte nicht zur Umwälzung der gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern in eine äußerst labil verfasste Weimarer Republik, die gerade deshalb Raum bot für eine reiche und heterogene literarische Szene. Fanden auch die revolutionären Vorhaben im politisch-gesellschaftlichen Bereich ein abruptes Ende, so lassen sich Umbruchsmomente doch in der Literatur seit 1919 nachverfolgen: Der frühe Brecht von Baal und Trommeln in der Nacht, Ernst Jüngers In Stahlgewittern oder auch weniger bekannte Texte wie Marieluise Fleißers Fegefeuer in Ingolstadt zeugen auf sehr unterschiedliche Weise von dem Beben, das die Zeitgeschichte in der Literatur auslöste.
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So heterogene und gar gegensätzliche Phänomene wie Neue Sachlichkeit und Neuromantisches, Lehrstücke und Abstraktion kennzeichnen das Schreiben der Zeit, dessen Entwicklungen bis zur Zeit der Studentenbewegung 1968 – z.B. in Texten von Rolf Dieter Brinkmann, Nicolas Born oder Heinrich Böll – in dieser Sektion untersucht werden sollen. Folgende Themenbereiche kommen hier in Frage:

-Die Novemberrevolution als literarisches Sujet (historischer Roman, Drama)
-Das Manifest als revolutionär-programmatische Gattung
-Autor/innen als Aktivist/innen und Chronist/innen der Revolution
-Zum Verhältnis von Literatur und Ideologie im Zeitraum von 1918 bis 1968
-Die Studentenbewegung als ästhetisches Phänomen: Literatur, Protest und Gegenkulturen
-Literarische Aushandlungen der Beziehung zwischen Kunst und Leben


Linguistik, Sprache und DaF

Die 1916 erfolgte Veröffentlichung des „Cours de linguistique générale“ implizierte eine neue Haltung des Linguisten gegenüber der zeitlichen Dimension selbst: Mit Ferdinand de Saussure ist die Geschichte einer Sprache als Abfolge von synchronischen Zuständen anzusehen und dabei nur mit Blick auf die existierenden Beziehungen zwischen verschiedenen gegensätzlichen Elementen in ihr zu bestimmen. Dies hatte Auswirkungen auf die Untersuchung des Prozesses sprachlicher Veränderung ebenso wie des Spracherwerbs und der Methoden soziolinguistischer Analyse. Die Erkenntnis, dass jede Sprache eine eigene unabhängige Struktur hat, erforderte eine Neupositionierung gegenüber der Historischen Linguistik, die bald sowohl die Prager Schule als auch Bloomfield und seine Anhänger entwickelten. Ungeachtet dessen stellen Chomsky und Halle um 1968 mit der Generativen Transformationsgrammatik ein alternatives Modell vor, das sich nicht nur mit dem Produkt einer Grammatik beschäftigt, sondern in erster Linie mit den Regeln, die dieses Produkt erst hervorbringen. Der Paradigmenwandel der Linguistik, den Saussure initiierte, etablierte eine Reihe neuer Perspektiven, die die sprachwissenschaftliche Forschung unwiderruflich verändern sollten.

Die Sektion für Linguistik, Sprache und DaF möchte verschiedene Aspekte der Auswirkungen linguistischer und didaktischer Paradigmenwechsel untersuchen und die Beteiligung und den Gebrauch (die Manipulation) von Sprache in revolutionären und von starker sozialer Politisierung geprägten Phasen analysieren, was ebenso das Medium wie den Empfänger miteinbezieht.


Daraus ergeben sich folgende Themenbereiche:

-Soziolinguistische Aspekte, soziale und historische Charakteristika der deutschen Sprache in der Zeit zwischen 1918 und 1968
-Analyse revolutionärer Sprache. Die Sprache als Instrument im Dienste von Revolutionen. Sprache und Politik
-Der linguistische Strukturalismus als wissenschaftlicher Paradigmenwechsel: neue Methodologien zur Erforschung von Sprache. Soziolinguistik und Revolution
-Neue Wege der Sprachenlehre und Sprachdidaktik vor dem Hintergrund der neuen linguistischen Strömungen
-Auswirkungen der durch die politischen, linguistischen und sozialen Erschütterungen ausgelösten Innovationen auf die Konzeption von Fremdsprachendidaktiken und Lehrwerken


Kunst und Kultur

Im Bereich der Künste führte der Wunsch, sich von einer der Moderne abwehrend gegenüberstehenden bürgerlichen Kultur zugunsten einer umfassenden Erneuerung zu distanzieren, Ende 1918 zur Gründung der Künstlervereinigung „Novembergruppe“. „Wir stehen auf dem fruchtbaren Boden der Revolution. Unser Wahlspruch heißt: Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit“, proklamierte deren Manifest. Zahlreiche Künstler und Künstlerinnen begannen nun, den möglichen politischen Wert ihrer Arbeit in der Werkproduktion zu fokussieren.
Zudem führte der Wandel der Sensibilität, für den die Neue Sachlichkeit stand, zu einer neuen Darstellung von Wirklichkeit in der Kunst, gekennzeichnet durch große Genauigkeit und Pragmatismus, oder – wie im Fall der Bauhaus – durch den Wunsch, die verschiedensten Strömungen künstlerischen Schaffens zu integrieren.

Die Sektion Kunst und Kultur lädt zu Beiträgen über unterschiedliche revolutionäre Ästhetiken ein, die sich um 1918 herausbildeten und mit dem Aufkommen des Nationalsozialismus ein jähes Ende fanden, bevor sie im Mai 1968 wieder aufgerufen wurden:

-Kino als Massenmedium und sozio-politisches Medium
-Proletarisches Theater und Dokumentartheater als Reaktion auf das bürgerliche Theater
-Die Neue Sachlichkeit als Reaktion auf die Avantgarden
-Frauen in der Bauhaus
-Ästhetiken der Revolution
-Politische Reflexionen in der Kunst


Philosophie und Denken

Marx’ Überzeugung, die Philosophie werde sich durch die Revolution zugleich verwirklichen und aufheben, erfuhr im 20. Jahrhundert ein vielfaches Echo und vor allem eine grundlegende Korrektur. Benjamins vielzitierten Worten zufolge sind Revolutionen gerade nicht, wie Marx vertrat, die „Lokomotiven der Weltgeschichte“, sondern der „Griff nach der Notbremse“, um eine durch die kapitalistische Logik bedrohlich nahe rückende zivilisatorische Katastrophe zu vermeiden. Ganz in diesem Sinne sah er die entscheidende Aufgabe des Kommunismus in seinem großen Sürrealismus-Essay auch darin, den Pessimismus zu organisieren. Als revolutionärem Denker und Kritiker der modernen Auffassung von Fortschritt ist an Benjamin nicht vorbeizukommen, wenn auch die Zeit um 1918/19 allgemein geprägt ist von intensiven intellektuellen Erkundungen der russischen und später auch der deutschen Revolution.
Vorbereitet unter anderem durch Rosa Luxemburgs Spartakusbriefe und Ernst Blochs Geist der Utopie sowie reflektiert in Georg Lukács’ Geschichte und Klassenbewusstsein, steht „Revolution“ im Mittelpunkt von Auseinandersetzungen, die es in der Sektion Philosophie und Denken nachzuverfolgen gilt. Eine Figur, die dabei als Brücke zwischen 1918/19 und 1968 fungiert, ist Herbert Marcuse: Der Philosoph erlebte Hoffnung und Scheitern der Novemberrevolution aktiv mit und wurde Jahrzehnte später, als sich neue Erwartungen an gesellschaftliche Transformationen knüpften, zu einer intellektuellen Ikone der Studentenbewegung.
Es ergeben sich folgende Themenbereiche für Vorträge:

-Begriffsgeschichte von „Revolution“
-Verhältnis von Revolution und Utopie
-Autor/in, Künstler/in, Intellektuelle/r: Neudefinitionen gesellschaftlicher Rollen
-Theorie und Praxis der Revolution am Beispiel von Rosa Luxemburg
-Walter Benjamin und die Revolution
-Geschichtsphilosophische und phänomenologische Reflexionen über Revolution


Vorschläge (ca. 150 Wörter) für einen 20-minütigen Beitrag werden zusammen mit einer kurzen biobibliographischen Notiz bis zum 9. November 2019 an folgende Mailadresse erbeten: xv.semanagermanica@ucm.es. Anfang Dezember werden die Teilnehmenden über die Annahme der Beiträge informiert.


Vorgesehen ist eine deutschsprachige Veröffentlichung von Beiträgen, die vom wissenschaftlichen Beirat ausgewählt werden und das peer-review-Verfahren durchlaufen. Zudem ist eine Internetpublikation der Vorträge in spanischer und deutscher Sprache geplant.


Organisation:
Teresa Cañadas García
Carmen Gómez García
Linda Maeding